Nutzung des Werkzeugs "Bauleitplanung" für die Stadtentwicklung
Bauleitplanung ist das wichtigste Planungswerkzeug zur Lenkung und Ordnung der städtebaulichen Entwicklung einer Gemeinde in Deutschland. Für die Aufstellung der Bauleitpläne sind die Gemeinden in kommunaler Selbstverwaltung zuständig (kommunale Planungshoheit). Im Rahmen der Gesetze können sie somit ihre städtebauliche Entwicklung eigenverantwortlich steuern. Sie unterliegen dabei der Rechtsaufsicht höherer Verwaltungsbehörden und der Normenkontrolle der Justiz. Unabhängig davon, ob der Stadt ein Grundstück gehört oder nicht, hat sie mit der Bauleitplanung das Heft in der Hand und legt fest, was an dieser Stelle erlaubt ist, was dort entstehen muss und was nicht passieren darf. Dies gilt auch für die Bebauung im Gebiet „ Am Wasen“. Zitat des früheren OB der Stadt Ulm, Ivo Gönner: "Was und wann gebaut wird, bestimmen wir, und wenn es 20 Jahre dauert".
Lückenhafte Information
Über diese Sachverhalte wurden Bürgerschaft und Gemeinderat von der Stadtverwaltung und dem früheren OB Heirich nur lückenhaft oder auch gar nicht informiert. Die Möglichkeiten des Vorkaufsrechtes wurden mit dem Hinweis auf einen "mittleren zweistelligen Millionenbetrag" für den Kaufpreis beiseite geschoben und nie ernsthaft in Erwägung gezogen oder gar darüber öffentlich diskutiert. Der von der Stadtverwaltung auf Beschluss des Gemeinderats mit dem Investor ausgehandelte und geschlossene städtebauliche Vertrag wurde dem Gemeinderat nicht im Wortlaut sondern nur in Auszügen zur Verfügung gestellt. Trotzdem hat ihn der Gemeinderat mit Mehrheit beschlossen. Erst OB Dr. Fridrich hat den Gemeinderäten nachträglich Einblick in den Vertragstext gewährt und in der Bauausschuss-Sitzung am 26.11.2019 alle Fakten auf den Tisch gelegt. Er hat bestätigt, dass der Gemeinderat ohne die Gefahr von Schadenersatzansprüchen des Investors den Bebauungsplan noch ablehnen kann. Allerdings sieht er dann die große Gefahr, dass das Verhältnis der Stadt zum Landkreis nachhaltig beschädigt wird und Nürtingen in Investorenkreisen ein nicht mehr reparierbares negatives Image bekommt.
Vorschriften sind nicht eingehalten
§ 1 Baugesetzbuch (BauGB) stellt klare Anforderungen an die Bauleitplanung. Nach den dort festgelegten Grundsätzen sollen Bauleitpläne u. a. dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln. Zum Beispiel ist in § 1 Abs. 6 Nr. 7 festgelegt, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne "die Belange des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere des Naturhaushaltes, des Wassers, der Luft und des Bodens einschließlich seiner Rohstoffvorkommen sowie das Klima " zu berücksichtigen sind. Die Bedeutung von Bäumen wie auch von Grünzügen für das Klima sollte bekannt sein. Wesentliche Ziele der Bauleitplanung, die vor allem für künftige Generationen von Bedeutung sind, werden nicht berücksichtigt und mit der geplanten Bebauung nicht eingehalten.
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Fehlende Alternativen
Die hohen Anforderungen der Bauleitplanung in Bezug auf eine menschenwürdige Umwelt sind jedoch in der dem Gemeinderat bis jetzt vorliegenden Planung des holländischen Investors Rabo Real Estate, vertreten durch deren Auftragnehmer "BPD Immobilienentwicklung GmbH" (BPD), nur unzureichend berücksichtigt (siehe Aktueller Planungsstand ). So werden in den bis jetzt bekannten Plänen nahezu alle Bäume gefällt werden (76 Stück). Mögliche alternative Lösungsansätze mit geringerer Bebauung an Wasen und somit geringeren Beeinträchtigungen für den Naturhaushalt wurden nicht verfolgt. Vor dem Satzungsbeschluss des Bebauungsplanes ist jedoch noch alles möglich und realisierbar.
Alternativen zur derzeitigen Planung
Eine Wohnbebauung kann im Gebiet "Am Wasen" auch in reduziertem Umfang mit deutlich geringeren Beeinträchtigungen für den Naturhaushalt umgesetzt werden, z.B. entsprechend den etwas zu modifizierenden Planungen des Büros Weinbrenner. Dabei wäre es auch möglich, die Vorgaben der Wassergesetze einzuhalten, z.B. Retentionsraumverluste zu vermeiden bzw. auszugleichen und den erforderlichen Gewässerrandstreifen im Innenbereich von 5 Metern anzulegen. Eine Bebauung mit etwas weniger Wohneinheiten würde auch das Ausmaß der Beeinträchtigungen für den Durchgangsverkehr reduzieren.
Eine weitere und für die Stadt Nürtingen auch finanziell vorteilhafte Variante wäre der Erwerb der Flächen und Gebäude vom bisher gesetzten Investor. Der von ihm an den Landkreis wegen fehlendem Baurecht noch nicht bezahlte Betrag von ca. 4,6 Millionen könnte auch von der Stadt aufgebracht werden und dem Landkreis kann es letztlich egal sein, von wem er das Geld bekommt. Analog zur Bahnstadt könnten kleinteiligere Flächen im Rahmen der Konzeptvergabe an verschiedene Bauherren veräußert werden. Bestehende Gebäude könnten übergangsweise anderen Nutzungen zugeführt werden. Im Siechenhaus könnten Räume für eine Kita eingerichtet werden. Bei dieser Variante wäre es natürlich auch möglich, dauerhaft öffentliche Grünflächen am Neckar bereitzustellen um damit die sonst erforderlichen Baumfällungen beim Konzept der "BPD" zu umgehen und einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz in der Stadt zu leisten.
Alternative zum Investor
Der Investor musste angeblich ca. 4,6 Mio. für 14.500 qm aufwenden, das ist ein Preis von ca. € 318,- / qm und entspricht in etwa dem veröffentlichten Bodenrichtwert. Auch wenn der Landkreis entschieden hatte, das Gelände an einen Investor zu verkaufen, so hätte die Stadt ihr Vorkaufsrecht nutzen und das Gelände erwerben können. Dies hat sie nicht getan, weil angeblich das Geld dazu nicht vorhanden ist, obwohl die Stadtverwaltung händeringend nach leerstehenden Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen sucht und bereit ist, dafür viel Geld auszugeben.
So hat beispielsweise in Neckarhausen die Ertüchtigung der Grundschule für die Flüchtlingsunterbringung ca. 400.000,- € gekostet und damit Platz für ca. 80 Personen geschaffen. In den leerstehenden Gebäuden "Am Wasen" könnte man in 2 Gebäuden ca. 200 Personen unterbingen, analog zu Neckarhausen wäre damit ein (Modernisierungs-) Aufwand von ca. 1 Mio. € notwendig.
Was hat die Stadt geplant?
Die im städtebaulichen Vertrag vorgesehene Kaufoption für 27 Wohnungen zum Preis von 7,5 - 8,2 Mio. hat der Gemeinderat abgelehnt. Deshalb ist nun der Investor verpflichtet, 10 Jahre lang 23 Wohnungen zu einem vertraglich festgelegten Preis von 8,00 €/qm als "Sozialwohnungen" bereitzustellen. Danach gilt für weitere 10 Jahre eine Obergrenze von 9,00 €/qm.
Um ihren Verpflichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Obdachlosen nachzukommen plant die Stadt augenblicklich folgende Vorhaben (WE = Wohneinheit, FU = Flüchtlings-Unterkunft, SW=Sozialwohnung):
Grötzinger Str. | ca. 920 qm | 14 WE | 67 FU / | 37 SW | ca. 2,23 Mio |
Breiter Weg | ca. 720 qm | 14 WE | 56 FU / | 26 SW | ca. 2,20 Mio |
Rilke Weg (BII) | ca. 420 qm | 8 WE | 32 FU / | 17 SW | ca. 1,15 Mio |
Marbachweg | ca. 420 qm | 8 WE | 32 FU / | 17 SW | ca. 1,10 Mio |
Dies sind zusätzliche ca. 2.500 qm in 44 Wohneinheiten für
ca. 6,7 Mio. €, um max. 187 Personen unterzubringen.
Die Nutzung der leerstehenden Gebäude "Am Wasen" wäre
mit insgesamt 5,6 Mio. € (4,6 Mio Erwerb + 1,0 Mio. Ertüchtigung)
um 1,1 Mio € günstiger zu realisieren.
Hier nochmals zur Erinnerung: Die Unterbringung von Obdachlosen
gehört zu den vorrangig zu erledigenden Pflichtaufgaben einer
Stadt!
Zudem würden weitere Gebäude für andere Verwendungen zur Verfügung
stehen. Da die Gebäude seit Langem bestehen,
genießen sie Bestandsschutz, so dass keinerlei baurechtliche oder
hochwassertechnische Komplikationen zu erwarten wären. Auch ein
Bebauungsplan wäre derzeit nicht notwendig.
Darüberhinaus stünde langfristig das gesamte Gelände für weitere
Projekte der Stadtentwicklung (z.B. Landesgartenschau) zur Verfügung.
Noch hat der Gemeinderat den Bebauungsplan NICHT verabschiedet und somit kein Baurecht hergestellt. Er könnte sich jetzt noch eines Besseren besinnen, das Ruder herumreißen und damit der Stadtentwicklung in Nürtingen wichtige gestalterische und finanzielle Freiheitsgrade verschaffen. Wenn er am 17.12.2019 den Bebauungsplan verabschiedet, tritt gleichzeitig der "Städtebauliche Vertrag" in Kraft. Dann hat die Stadt die Kontrolle über diesen Abschnitt des Neckarufers für immer verloren und kann an keiner Stelle mehr korrigierend eingreifen.
Informationsveranstaltung am 11.12.2019
Die Bürgerinitiative "Nürtingen am Neckar" hat für den 11.12.2019 zu einer Informationsveranstaltung in die Kreuzkirche eingeladen, um eine Diskussion über Sachargumente zum Thema "Bebauung am Wasen" in Gang zu bringen. Leider hat die Stadtverwaltung ihre bereits zugesagte Teilnahme zurückgezogen, weil sie meinte, nicht genügend Redezeit zu bekommen und im Gefolge hat auch der Investor kurzfristig abgesagt. Die Kreuzkirche war mit ca. 180 Besuchern fast voll belegt.
In einer ausführlichen
Präsentation
wurde der Planungsstand, der dem
Bebauungsplan zu Grunde liegt, dargestellt. Von verschiedenen
Experten wurden einzelne Themen erläutert, die im Bebauungsplan
als problematisch oder gar unrealistisch anzusehen sind.
Einen Videomittschnitt der Veranstaltung gibt es hier.
Videomittschnitt Teil-1 vom 11.12.2019 in der Kreuzkirche
Gemeinderatssitzung am 17.12.2019
Unter TOP 4 wurde der Punkt «Bebauungsplanverfahren ′Am Wasen′» aufgerufen. NT14 hatte den Geschäftsordnungsantrag auf Absetzung des TOP gestellt, um "die Verwaltung zu beauftragen, die unten stehenden Bedenken und Anregungen aufzunehmen und die Punkte im zuständigen Ausschuss zu erörtern". Dieser Antrag wurde bei 3 Ja-Stimmen mit 24 Nein-Stimmen abgelehnt.
Anschließend wurde dem vorliegenden Antrag der Verwaltung mit 23 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen und 1 Enthaltung zugestimmt. Damit ist der Bebauungsplan als Satzung beschlossen und über alle Einwendungen wurde im Sinne der vorgelegten Abwägungsentscheidung vom 7.10.2019 entschieden.
Damit hat der Gemeinderat Baurecht hergestellt, so dass der Landkreis beginnen konnte, die Bäume zu fällen und die Gebäude abzureißen, um hinterher das Areal neu zu bebauen.
Baufortschritt
Noch rechtzeitig vor Beginn der Schutzfrist am 1. März wurden alle Bäume, die dem Bauvorhaben im Wege standen, gefällt. Anschließend wurde mit dem Abriss der Gebäude begonnen, der augenblicklich (23.08.2020) noch in vollem Gange ist.
Baufortschritt 23.08.2020 | Copyright: © 2020 NT14 e.V. |
Lediglich das
«Siechenhaus» (ganz rechts im Bild) und die Kapelle,
die beide unter Denkmalschutz stehen, bleiben erhalten.